Allgemeines Strafrecht

Raser-Fall in Hagen (Tag 4)

An demselben Tag, an dem der Bundestag beschloss, illegale Autorennen künftig nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat zu werten und mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren – im Falle des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung sogar mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren – zu sanktionieren, fand in Hagen der vierte und vorletzte Verhandlungstag im Raser-Prozess statt. Im Vordergrund standen dabei zwei Themenkomplexe: Die Angaben der Angeklagten zu ihren persönlichen Verhältnissen sowie die Fortführung des Sachverständigengutachtens.

Der jüngere Angeklagte äußerte sich zum ersten Mal im Prozess und gab an, er sei am 12.12.1982 geboren. Er habe drei Brüder und eine Schwester. Am 05.06.1993 sei er mit seiner Familie nach Deutschland gekommen. Nach seinem Hauptschulabschluss habe er mehrere kleine Nebentätigkeiten ausgeübt, bevor er am 01.09.2003 seine Ausbildung im Einzelhandel begonnen und anschließend dort weiter gearbeitet habe. Seit zwei Jahren sei er aber arbeitslos. Die Verteidigung legte dem Gericht einen Arbeitsvertrag vor, der bescheinigte, dass der Angeklagte ab dem 01.08.2017 in Iserlohn eine neue Stelle als Hilfskraft antreten kann. Seine Ehefrau habe er 2005 kennengelernt. Die Hochzeit sei am 22.12.2007 gewesen. Er habe zwei Kinder: Ein neunjähriges Mädchen und einen sechsjährigen Sohn. Mit seiner Lebensgefährtin – der Beifahrerin am Unfalltag – führe er seit 2014 eine Beziehung. Der Audi sei vorübergehend auf seine Freundin zugelassen worden. Auf die Frage, was der Grund für die Änderung der Zulassung gewesen sei, entgegnete der Angeklagte, dass er hierzu und zu den Eigentumsverhältnissen keine Angaben machen werde. Laut Bundeszentralregisterauszug vom 17.01.2017 ist er dreifach vorbestraft: Geldstrafe wegen unerlaubten Waffenbesitzes (2008), Geldstrafe wegen gemeinschaftlichem schweren Diebstahl (2009) und zehnmonatige Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung (2010). Ferner wurde er kürzlich in beiden Instanzen wegen Beteiligung an einem Einbruchsdiebstahl zu einer nicht mehr bewährungsfähigen Freiheitsstrafe von zuletzt zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt, wobei die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist.

Hinsichtlich des älteren, nicht vorbestraften Angeklagten war zu vermelden, dass sein Gesundheitszustand sich seit dem Unfall so weit verbessert habe, dass er voraussichtlich im Oktober wieder einer Arbeit nachgehen könne.

Nach der letzten Sitzung war der zweite Teil des Sachverständigengutachtens mit Spannung erwartet worden. Das Gutachten bestand aus zwei Teilen: der Spurendokumentation und den Geschwindigkeitsberechnungen. Der zuerst vernommene Sachverständige schickte seinen Ausführungen voraus, dass die Erstellung des Gutachtens analytisch nicht unproblematisch gewesen sei, weil sich aufgrund des Zeitraums und der Strecke von der Ampel bis zur Unfallstelle relativ viele mögliche Varianten darstellten, wie sich das Geschehen konkret ereignet haben könnte. Er erläuterte seine Erklärungen anhand der Vorführung von Grafiken und Videosequenzen, die mögliche Abläufe darstellten. Es waren sehr sperrige Stunden, die für Außenstehende folgten, die den technisch überladenen Vortrag ohne Kenntnis des schriftlichen Gutachtens nur sehr schwer nachvollziehen konnten. Es blieben viele entscheidende Fragen offen. Am Ende der Ausführungen überwog eindeutig die Enttäuschung.

Da keine Bremsspuren vorhanden waren, sei insbesondere eine genauere Berechnung ausgeschlossen. Auch die Dashcam-Aufnahme war für eine Geschwindigkeitsberechnung untauglich, wie bereits am ersten Tag der Sachverständigenvernehmung verdeutlicht wurde. Die Kurvengrenzgeschwindigkeit, also die Geschwindigkeit, mit der man die Rechtskurve am Kopf des Unfalls maximal habe passieren können, ohne von der Fahrbahn abzukommen, läge allerdings bei 133 km/h; schneller können die Fahrzeuge also keinesfalls gewesen sein. Alles in allem waren die Sachverständigen für Außenstehende wohl so zu verstehen, dass von einer Geschwindigkeitsspanne von 80 bis 120 km/h auszugehen sein sollte. Da ist einiges an Raum für die Verteidigung, mit dem Grundsatz “in-dubio-pro reo” zu argumentieren und das an Geschwindigkeit orientiere „Raserei-Element“ nach unten zu drücken.

Im Berliner Raser-Fall wurde die Geschwindigkeit eines der beteiligten Autos anhand der gespeicherten Daten im Airbag-Steuergerät ermittelt. Entgegen der ursprünglichen Annahme einer Kollisionsgeschwindigkeit von 105 km/h ergab die Auswertung des Airbag-Steuergeräts, dass der Mercedes zum Zeitpunkt des Zusammenpralls mit einem Ampelmast mit 149 km/h Tachogeschwindigkeit unterwegs war und sich wiederum auch daraus eine Kollisionsgeschwindigkeit für den mit dem Jeep zusammengeprallten Audi von 160-170 km/h ableiten ließ. Am ersten Tag des Sachverständigenvortrags in Hagen wurde erwähnt, dass das Airbag-Steuergerät des Skoda noch intakt war: Mich hätte interessiert, ob die darin möglicherweise gespeicherten Daten für die Geschwindigkeitsanalyse von Relevanz waren.

Die Hauptverhandlung wird am 03.07.2017 mit den Schlussvorträgen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung fortgesetzt. Nach Beratung verkündet dann das Gericht sein Urteil.

(Ich danke meiner Mitarbeiterin, Frau Selina Pohl, für ihren wertvollen Beitrag.)

Bild: Osman Isfen