Allgemeines Strafrecht

Der nächste Raser-Fall wird in Hagen entschieden

Der erste Rauch nach dem Berliner Raser-Fall ist verzogen, und es herrscht weiterhin Uneinigkeit darüber, wie das Urteil des Landgerichts Berlin zu würdigen sei. Kurz zur Erinnerung: Die beiden Angeklagten lieferten sich ein spontanes Autorennen auf dem Berliner Ku’damm mit bis zu 160 km/h in der Spitze und überfuhren dabei elf rote Ampel. An einer Kreuzung rammte schließlich einer der Angeklagten einen Jeep, der Grün hatte; der Wagen wurde mehr als 70 Meter weit über die Straße geschleudert. Der 69-jährige Fahrer starb noch um Unfallort; die beiden Fahrer der PS-starken Autos blieben unverletzt.

Zum ersten Mal in Deutschland wurde Anklage wegen Mordes in einem Autorennen-Fall erhoben, weil die Staatsanwaltschaft Berlin in dem Verhalten der Fahrer ein vorsätzliches Handeln erblickte. Das Landgericht Berlin folgte dieser Sichtweise und verurteilte die beiden jungen Männer zu lebenslanger Haft. Als Mordmerkmal wurde das Töten mit gemeingefährlichen Mitteln angenommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig entschieden; die Entscheidung des BGH wird mit Spannung erwartet.

Die ersten Stellungnahmen aus der strafrechtswissenschaftlichen Szene waren durchaus gespalten. Neben einzelner Zustimmung war überwiegend eine kritische Tendenz zu beobachten. Es zeigte sich schnell, dass das Problem des konkreten Falles auf zwei unterschiedlichen Ebenen zu lokalisieren war:

1.  Lag im vorliegenden Fall bedingter Tötungsvorsatz vor? Dafür sprach die unfassbar halsbrecherische Art und Weise des Autorennens: Konnten die Angeklagten ernsthaft darauf vertrauen, dass bei einer Geschwindigkeit von 160 km/h in der Stadt und dem Überfahren von elf roten Ampeln noch alles gut ausging? Wenn man sie allerdings gefragt hätte, ob Ihnen ein Zusammenstoß, der gleichzeitig auch für sie potenziell tödlich gewesen wäre, gleichgültig war, hätten sie dies sicherlich verneint. Also: Wie ist der Vorsatz zu bestimmen? Als Abbild des psychologischen Zustands des Angeklagten zum Tatzeitpunkt oder eine Zuschreibung unter normativer Betrachtung? Zu beachten ist jedenfalls, dass die Bejahung eines Eventualvorsatzes bei Autorennen weitreichende Folgen auch dann entfaltet, wenn es überhaupt gar nicht zu einem Unfall kommt, denn hier müsste wegen versuchten Mordes bestraft werden. Gerade dieser Aspekt zwingt zu einer restriktiven Betrachtung solcher Geschehen: Nicht jedes grob verkehrswidrige Verhalten rechtfertigt die Annahme eines Eventualvorsatzes, auch nicht jede rücksichtslose Gesetzesübertretung. Der Berliner Raser-Fall ist eine Einzelfallentscheidung und nicht ohne Weiteres verallgemeinerungsfähig. Die Abgrenzung zur Fahrlässigkeit bleibt bzw. wird sehr anspruchsvoll.

2. Wenn man bedingten Vorsatz bejaht und bei den konkreten Umständen das Auto als gemeingefährliches Mittel (Unbeherrschbarkeit in Bezug auf das Leib und Leben mehrerer Menschen) ansieht (es könnte auch zumindest über niedrige Beweggründe nachgedacht werden), so kann nur auf eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes erkannt werden. Dies erscheint nach übereinstimmender Ansicht nicht gerecht. Abhilfe bestünde darin, wie von Walter vorgeschlagen, eine Spezialregelung in Form einer Erfolgsqualifikation im Rahmen des § 315c StGB vorzusehen. Sie könnte wie folgt aussehen: “Verursacht der Täter durch die Tat wenigstens leichtfertig den Tod eines Menschen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren.” Das würde einen Strafrahmen von 2 bis 15 Jahren auch bei nicht-vorsätzlichem Geschehen eröffnen, was eine gerechtere Strafzumessung ermöglichte. Allerdings wäre hier – jedenfalls solange der Mord pauschal mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft wird, sobald ein Mordmerkmal verwirklicht wird –  zu überlegen, ob man für Vorsatzfälle eine Sperre vorsieht, die einen Rückgriff auf § 211 StGB ausschließt: Das prägende Bild eines auch halsbrecherischen Autorennens unterscheidet sich doch wesentlich von typischen Erscheinungsformen des gegenwärtigen Deliktstyps “Mord”.

Der nächste Raser-Fall wird demnächst in Hagen entschieden. Ab Ende Mai verhandelt das Landgericht Hagen über einen Unfall, der sich nicht weit von der FernUni ereignete: Auch hier lieferten sich die beiden Angeklagten ein Autorennen, bei dem es zu einem Zusammenstoß mit dem Gegenverkehr kam. Zum Glück starb niemand. Die Anklage lautet auf vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässige Körperverletzung. Selbstverständlich kann es aber dabei nach einem entsprechendem Hinweis des Gerichts auch um versuchten Mord gehen.

 

Bild: Erich Kasten pixelio.de