Allgemeines Strafrecht

Raserei mit Todesfolge: Mord?

Mit seinem 200 PS-Motorrad filmte sich der als “Alpi” in der Biker-Szene bekannte Angeklagte immer wieder in höchst riskanten Fahrmanövern und teilte die Aufnahmen auf seinem mehr als 80.000 Abonnenten starken Youtube-Channel, womit er auch ein wenig Geld verdiente. In einem der Videos ist zu sehen, wie er innerorts auf 117 km/h beschleunigt und kurz darauf um Haaresbreite mit einem Fußgänger zusammenstößt (ab Minute 1:05). Anschließend ist “Alpi” mit den Worten zu hören: “Ist der behindert? (…) Er wäre gestorben. Ich hätte ihn in seine Einzelteile zerlegt, wie mein Lego”.

Nun, irgendwann trat das Unvermeidliche ein: Der 24-Jährige raste in Bremen trotz Vollbremsung in einen 75-jährigen Fußgänger, der angetrunken bei Rotlicht über die Straße ging. Das Opfer starb sofort; er selbst wurde so schwer verletzt, dass er wohl nie wieder Motorrad fahren kann. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage zunächst wegen Mordes; sie plädierte später auf Totschlag. Vor allem mit Blick auf seine Youtube-Videos, die sein beharrliches, grob straßenverkehrswidriges Verhalten zeigten, sei von einem bedingten Tötungsvorsatz auszugehen. Die Verteidigung plädierte für eine Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Tötung. Das Landgericht Bremen verurteilte den Angeklagten in der Tat wegen fahrlässiger Tötung, allerdings zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, die nicht mehr zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Todesfälle bei waghalsigen Aktionen im Straßenverkehr beschäftigen in letzter Zeit verstärkt die Rechtsprechung. Auch der Gesetzgeber möchte sich auf diesem Gebiet mit einer gesonderten Strafvorschrift einbringen (BT-Drs. 18/10145; dazu Preuß in HRRS 2017, 23 ff mit Anmerkungen zu der Raser-Entscheidung des LG Köln aus 2016 ). In Berlin wurde kürzlich gegen zwei Raser, die bei einem Autorennen auf dem Ku’damm mit 168 bzw. 130 km/h in der Spitze einen Rentner totgefahren haben, ebenfalls Anklage wegen Mordes erhoben . Im Unterschied zum Berliner-Fall war es in Bremen aber kein Rennen. Das Landgericht sah im Angeklagten keinen “pathologischen Speedsüchtigen”; dieser habe vielmehr mit “jugendlichem Leichtsinn” immer auf einen guten Ausgang vertraut. Die Unfallfahrt habe er zudem nicht gefilmt, um sie später ins Internet zu stellen. Schließlich träfe das Opfer ebenfalls eine Mitschuld.

In der Sache verdient das Urteil Zustimmung. Bedenklich ist aber, wenn der Vorsitzende mit den Worten zitiert wird, die Anklage der Staatsanwaltschaft wegen Mordes sei richtig gewesen. Schließlich seien Mordanklagen “Neuland bei Verkehrsdelikten, könnten aber präventive Wirkung haben.” Es müsse klar sein, “dass PS-Protzerei mal ein Ende hat”. Der Verweis auf die “präventive Wirkung” hört sich sehr nach einer Exempel-Statuierung an, die befremdlich wirkt. Diese kann schlichtweg nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft sein. Die präventive Wirkung eines strafrechtlichen justiziellen Aktes liegt regelmäßig im Strafurteil selbst. Die Lasten einer Anklage wegen Mordes, die sich von einer wegen fahrlässiger Tötung erheblich unterscheidet, dürfen dem Angeklagten nicht auferlegt werden, um für künftige Fälle abschreckend auf andere zu wirken. Bedenklich erscheint in diesem Kontext insbesondere das Zurückrudern der Staatsanwaltschaft von Mord auf Totschlag während der Hauptverhandlung. Das Betreten eines “Neulands” ist der Anklageinstanz selbstverständlich jederzeit möglich; allerdings setzt dies voraus, dass die Ermittlungen eine solide Basis für die Annahme bieten, dass am Ende der Hauptverhandlung entsprechend der Anklage geurteilt wird. Im Falle der Anklage in Bremen war dies offensichtlich nicht so. Es gibt sicherlich besser geeignete Fälle als diesen, mit denen das besagte Neuland erkundet werden kann.

 

Bild: Petra Bosse pixelio.de